Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein gröberes Problem. Ihr aussenpolitisches Leitmotiv "Von Amerika lernen, heisst Siegen lernen" droht die Allianz mit der schweigenden Mehrheit ihrer Wählerinnen und Wähler zu sprengen.
Hemmungslose amerikanische Spione, Washingtons Drängen auf Putin-Dämonisierung, und die Bevorzugung der US-Wirtschaft im geplanten transatlantischen Freihandels- und Investmentabkommen TIIP, entfremden die amerikafreundliche Kanzlerin von einem zunehmend amerikakritischen Elektorat.
Sobald Merkels spröder Ossi-Charme die Stimmen der schweigenden Mehrheit nicht mehr bringt, zerbröselt die Koalition von CDU und CSU. Wenn das passiert, zerfällt auch die grosse Koalition mit der SPD. Die Gestaltung der zukünftigen deutsch-amerikanischen Freundschaft ist die brennende Lunte am Pulverfass von Merkels kleiner und grosser Koalition.
Davon kann die NZZ profitieren.
1780 als Organ der Oligarchen des damaligen eidgenössischen Stadtstaates Zürich gegründet und 1830 als Kampfblatt der Zürcher Liberalen erneuert, mausert sich die NZZ heute nach dem Vorbild des "Economist" im Englischen Sprachraum zum Zentralorgan der deutschsprachigen Amerikafreunde.
Klar, auch die überregionalen deutschen Tageszeitungen sind amerikafreundlich. Sie haben jedoch das gleiche Problem wie die Bundeskanzlerin. Ihre proamerikanische Publizistik muss, bei Strafe von Abokündigungen, Rücksicht nehmen auf die zunehmend amerikakritische Grundstimmung der angestammten Leserschaft.
Ganz abgesehen vom wachsenden Stirnerunzeln machtpolitisch-pragmatisch denkender Wirtschaftskapitäne und Manager zur Unterordnung wirtschaftlicher Landesinteressen unter eine vorwiegend normativ-moralistische China- und Russlandberichterstattung.
Die Hard-Core-Amerikafreunde einer neupositionierten, entschweizerten NZZ-Redaktion hingegen, kennen keine solche Konsensprobleme. Ganz im Gegenteil. Kompromisslos amerikafreundliche Auslandberichterstattung ist das Hauptargument der Werbung neuer deutscher Abonenntinnen und Abonnenten. NZZ-Feuilleton, Sport und Wirtschaft sind bereits deutschlandkompatibel, Inland und Region für CH, D, A, FL und L erfordern noch Anpassungen.
Für meinen Teil wäre ich nicht erstaunt, wenn die NZZ in Berlin nächstens eine Aussenstelle eröffnet, und dazu bei der deutschen Konkurrenz einige proamerikanische Edelfedern abwirbt.