Mit dem scharfen Abbauprogramm im Süden und dem vielen (Papier)Geld von der Europäischen Zentralbank zur Rettung der Banken, kaufen die Deutsche Regierung und die Brüsseler Kommissare kurzfristig Zeit. Mittel- und langfristig deutet jedoch alles darauf hin, dass solches Krisenmanagement nur noch tiefer ins Schlammassel führt.
Die bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands am 8. Mai 1945 beendete die Epoche der souveränen, kriegerischen, europäischen Nationalstaaten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden war. Angeheizt primär vom Spätankömmling Deutschland - aber nicht nur - brachte die Machtrivalität des europäischen Nationalismus die Verbrechen des Kolonialismus, Imperialismus, Stalinismus und Faschismus hervor, um schliesslich in der Doppelkatastrophe zweier Weltkriege zu kulminieren.
Basierend auf 100 Jahren Negativerfahrungen mit dem Nationalismus, entstand seit Kriegsende 1945 ein Einigungsprozess, der die heutige EU hervorgebracht hat. Gebaut auf Vertrauen, Solidarität, Kompromiss und Frieden, nicht mehr auf nationalistischem Grössenwahn, Egoismus, Misstrauen und Krieg.
Neben diesem inneren Faktor, wurde der Aufbau des europäischen Hauses - was heute oftmals verdrängt wird - auch noch einen äussern politischen Faktor getrieben. Nämlich vom Kalten Krieg zwischen Ost und West. Der Kern des USA-geführten Westblocks war die transatlantische Allianz mit dem geeinten Westeuropa. Die Hegemonialmacht USA brauchte die Westdeutschen gegen die Sowjetunion. Und verlangte die Westanbindung der deutschen Westzone und den Ausgleich mit Frankreich, mit anderen Worten den Kern der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Der Untergang der Sowjetunion hat den äusseren Faktor weggefallen lassen. 1992 besiegelten die damaligen Mitglieder der EU in den Maastrichter Verträgen ihre neue Strategie, das heisst eine zunehmende politische, wirtschaftliche und währungsmässige Vereinheitlichung, kombiniert mit der Osterweiterung. Dieser Plan gilt in Brüssel bis heute.
Mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 geriet die Strategie der EU bös in den Gegenwind. Überall in Europa bekamen ihre Gegner Aufwind, und deren Parteien legen in den Wahlen zu. Mehr und mehr outen sich auch Mainstream-Politiker der älteren Generation, wie der konservative britische Ex-Schatzkanzler Nigel Lawson oder der linke deutsche Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine als Gegner der Gemeinschaftswährung Euro. In Griechenland und Spanien hat die arbeitslose jüngere Generation den einstigen Enthusiasmus für Europa verloren. In Italien verspricht Wahlsieger Beppe Grillo den Italienern Schutz vor der EU - was dort bis vor kurzem noch als völlig abwegig gegolten hätte.
Eine wichtige Ursache der wachsenden Anti-EU-Stimmung ist das von Deutschland durchgedrückte Krisenmanagement, der weitaus stärksten Macht in EU und Währungsunion. Sprich sparen ohne Schuldenentlastung und ohne Wachstum, dafür mit historisch einmalig hohen Arbeitslosenquoten und wachsenden Schulden im Süden und einer hochtourig laufenden deutschen Exportmaschine. Lange kann das nicht mehr so weitergehen.
Aus dieser Sackgasse sind verschiedene Auswege denkbar. Den einen Eckpunkt formulierte der Grüne Joschka Fischer, von 1998 bis 2005 deutscher Aussenminister, unlängst in der Süddeutschen Zeitung: "Der Preis des Überlebens der Währungsunion und damit des europäischen Projektes heisst weitere Vergemeinschaftung: Bankenunion, Fiskalunion, politische Union."
Den anderen Eckpunkt verkörpert eine wachsende Schaar Euro- und EU-feindlicher Politiker, von Nigel Farange in England, über Beppe Grillo in Italien, bis Bernd Lucke in Deutschland. Nämlich den Austritt aus Euro und EU, die Rückbesinnung auf die guten alten Werte des jeweiligen Nationalstaates kombiniert mit bilateralen vertraglichen Bindungen an die Rest-EU.
Ein ganz anderer Ausweg wäre die Vision eines neuen europäischen Föderalismus. Nicht Europa als Bundesstaat, machtmässig auf Augenhöhe mit den USA, Russland und China aufgerüstet, ist das Ziel, sondern ein Bund souveräner Staaten. Ähnlich, wenn auch nicht deckungsgleich der staatsrechtlichen Organisation der Schweiz.
Ein neuer europäischer Föderalismus mit den gleichen Werten wie nach dem Zweiten Weltkrieg, also Vertrauen, Solidarität, Kompromiss und Frieden. Die er, anders als die heutige EU mit ihren Abbauprogrammen, mit volksnäheren, demokratisch besser legitimierten Methoden und wirtschaftlich sozialer und ökoverträglicher zu sichern sucht. Ganz abgesehen davon, dass die heutigen nationalen Grenzen für einen so verstandenen europäischen Föderalismus mittel- und langfristig nicht sakrosankt zu sein brauchen.
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