Freitag, 2. Juni 2017

Krise bei der NZZ: CEO gecrasht, und der Chefredaktor kann keine Leitartikel schreiben

Der flotte Austroamerikaner vom Sechseläutenplatz ist gecrasht.

Veit Denglers ambitiöser Plan, die Traditionsmarke NZZ nach dem Vorbild globalisierter englischsprachiger Brands wie "Economist", "WSJ" oder "FT" zu einem Onlinekanal für den ganzen Deutschen Sprachraum aufzubauen ist gescheitert.

Wenn nzz.at in Denglers Heimat Österreich nicht funktioniert, dann kann es auch mit nzz.de im grossen Kanton nicht klappen.

Als Unternehmensleiter war Dengler eine klare Fehlbesetzung. Die NZZ hätte den Online-Hipster mit politischen und journalistischen Ambitionen als Chief Digital Officer anstellen sollen. Mit einem Buchhalter als CEO vor der Nase, der die Cash-Burn-Rate von Veit "live-the-wild" Dengler im Griff gehabt hätte.

Das schleckt keine Geiss weg: NZZ-VR-Präsident Etienne Journod und der Verwaltungsrat haben bei ihrer wichtigsten Aufgabe versagt, einen guten Geschäftsführer für ihre AG einzustellen.

Der neue CEO muss kleinere Brötchen backen. Sprich den finanziell tragbaren Auf- und Ausbau eines Onlinekanals nicht für den gesamten deutschsprachigen Raum managen, sondern die Digitalisierung der Marke NZZ in der grössere Metropolitanregion Zürich, mit den beiden Subzentren Luzern und St. Gallen. (Basel gehört meines Erachtens, sorry liebe Waggisköpfe, aus Globalperspektieve auch zum grösseren Metro Zürich, weshalb sich aus wirtschaftlichen Gründen die Fusion BaZ-NZZ empfielt.)

Diese "Metropolitanraum-Zielsetzung" ist auch ein zentrales Element des Anforderungsprofils für den NZZ-Chefredaktor. Für diesen Job braucht es einen oder eine, die den kalten Wind am Sechseläutenplatz mit der Hosensackwärme von St. Gallen und Luzern verbindet. Und als Metro Zürichs gemeinsame Stimme in Bern vertritt - okay nur als neoliberal-rechtsbürgerliche Stimme, auf der anderen Seite müssen halt WOZ, infosperber.ch, tsüri.ch und weitere Kanäle mit der kommenden republik.ch fusionieren.

So einer ist Eric Gujer nicht. Der langjährige Deutschlandkorrespondent und Geheimdienstspezialist ist der Mann der NATO-Konferenzen, und der vertraulichen Gespräche mit den kleinen und grossen Machthabern dieser Welt. Der Machtpolitiker Gujer wurde mit Blick auf die gecrashten deutschsprachraum-Ambitionen der NZZ eingestellt, und hätte gegen FAZ, Welt und Süddeutsche antreten sollen. Dafür wäre Gujer im Prinzip okay, wenn nur, wenn er Leitartikel schreiben könnte. Und das kann er nun wirklich nicht - was ich als sein Leser meine,  nicht weil ich politisch ganz anders gewickelt bin.

Zugegeben, Gujers NZZ-TV-Show habe ich noch nie gesehen, aber einer der seine politischen Überzeugungen mit solch unterirdischen Editorials ausdrückt,  eignet sich nicht dazu, die Hosensackwärme von St.Galler Lokalmatadoren bei zwei, drei Bierchen auszuloten, oder sich in Luzern mit einem schwerreichen Expat eine Cohiba plus ein, zwei Flaschen guten Bordeaux zu genehmigen.

Ganz abgesehen von seinem mangelndem Schreibtalent scheint Eric Gujer mit dem Untergang der alten anglo-euro-amerikanisch-transatlantischen Welt seinen politischen Kompass verloren zu haben. Und immer noch den Anschluss zu suchen an die neue multipolare Welt der Trumps, Macrons, Corbyns, Erdogans, Putins, Xi Jinpings, etc, etc.

Ohne CEO und mit dem falschen Chefredaktor sitzt die NZZ heute tief in der Tinte. Keine einfache Aufgabe für Etienne Journod und den Verwaltungsrat da wieder heraus zu finden.

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