Warum wurde die Schweiz im Zweiten Weltkrieg verschont?
Diese Frage stellt der Wirtschaftshistoriker Prof. Tobias Straumann von der Universität Zürich gestern in seinem Tages-Anzeiger-Blog. Und antwortet mit den Worten: Es war Glück, unglaubliches Glück, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg verschont wurde.
Das ist, mit Verlaub Herr Professor, falsch. Nicht Glück, sondern die richtige Strategie hat die Schweiz verschont.
Ein Quentchen Glück braucht es natürlich immer. Doch der Grund, warum Hitler die Schweiz militärisch nicht angriff, war die erfolgreiche Abwehrstrategie von General Henri Guisan zur Verteidigung der nationalen Souveränität gegen die nazideutsche Aggressionspolitik.
Guisan gab Hitler was er wollte, nämlich die Integration der Schweizer Wirtschaft und des Schweizer Finanzplatzes in die Kriegswirtschaft des Dritten Reiches.
Beides brauchte die deutsche Kriegsmaschine dringend. Schweizer Industriebetriebe lieferten anderswo nur schwerlich erhältliche High-Tech-Teile für Panzer, Flugzeuge, Fahrzeuge und Kanonen der Wehrmacht. Der Finanzplatz lieferte dem Nazistaat Devisen gegen Raubgold. Devisen die Deutschland zur Bezahlung seiner Importe aus anderen Neutralen Staaten dringend brauchte, und nur von einer politisch unabhängigen Schweiz beschaffen konnte. Die anderen europäischen Finanzplätze der Vorkriegszeit Paris, Amsterdam und Brüssel waren zerstört.
Hätte Hitler die Schweiz 1940 oder 1943 angegriffen, wäre die Schweizer High-Tech-Industrie mehr oder weniger kaputt, und die neutrale Finanzdrescheibe ganz kaputt gegangen.
Das begriffen Guisan und sein Stab. Darauf fusste, vom Bundesrat sanktioniert, der stillschweigende Dissuasions-Deal mit Hitler: Territoriale Integrität der vollständig von den Achsenmächten umschlossenen Schweiz gegen ökonomische Integration in die Reichskriegswirtschaft. "Die Schweiz das kleine Stachelschwein, das nehmen wir im Rückzug ein", sagte Goebbels. Für diesen Deal brauchten sich Hitler und Guisan nie zu treffen - obwohl der General dem Bundesrat mehrfach eine Mission nach Berlin empfahl. Erfolgreiche Nationalstrategien funktionieren auf der Basis der normativen Kraft des Faktischen. Siehe dazu meinen WOZ-Artikel vom 10. August 1990 http://www.treppresearch.com/WoZ%2010.8.1990.PDF
Umgesetzt wurde der Deal zwischen der Schweiz und Deutschland zum einen durch die Demobilisierung von vielleicht 2/3 des Personalbestandes der Armee, mit anderen Worten der Entlassung der Arbeiter in die Fabriken, sowie den militärischen Rückzug aus dem Mittelland in die Alpen. Und zum anderen durch den Aufbau des Alpenreduits ergänzt mit einer geistigen Landesverteidigung à la Wilhelm Tell: Lieber sterben, als in Knechtschaft leben.
Das Reduit hätte nicht funktioniert, wenn die Schweizer Bevölkerung nicht mehrheitlich gegen das Dritte Reich eingestellt gewesen wäre. Obwohl es damals auch im Offizierskorps der Armee nur allzuviele Nazisympathisanten gab, hätte sich das Land mit aller Wahrscheinlichkeit gegen eine deutsche Invasion zur Wehr gesetzt. Nie war mein Vater selig wütender auf mich, als wenn ich mich über den Bronzeteller lustig machte, den er 1941 für den sechsten Rang im Skipatrouillenlauf der Gebirgsdivision 6 in Andermatt bekam. Abgegangen wie in Dänemark, wäre es wohl kaum, wo die sozialdemokratische Vorkriegsregierung im Amte verblieb, nachdem die Armee fast ohne Gegenwehr kapituliert hatte.
General Guisans Doppelstrategie haben wir es zu verdanken, dass die Schweiz vom Krieg verschont blieb. Die dunkle Seite des Schweizer Deals mit dem Dritten Reich sind die Verbrechen der Schweizer Gesinungsnazis, Faschistenfreunde und Kriegsgewinnler, und die zahlreichen abgewiesenen und in den Tod geschickten Flüchtlinge. Um den Krieg zu verlängern, war der materielle Beitrag der Schweiz zur deutschen Kriegsmaschine zu klein.
Die ganze Ambivalenz der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ist heute noch aktuell. So beispielsweise Anfangs Jahr an einer Veranstaltung zur Abstimmung zum Neubau des Zürcher Kunsthauses für die Sammlung Bührle. Wo der mittlerweilen zum Zürcher Polizeivorstand avancierte Richard Wolff, Sohn eines jüdischen Flüchtlings aus Deutschland, auf dem Thema Nazi-Raubkunst insistierte. Während die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch bloss eine genervte Geste für die Tatsache übrig hatte, dass Emil Bührle seine Bilder mit dem Geld gekauft hat, das ihm das Dritte Reich für die gelieferten Oerlikon-Kanonen bezahlten.
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