Die Finanz ist die Magd der Realwirtschaft, sagte vor 50 Jahren unser alter Handelslehrer am Zürcher Wirtschaftsgymnasium. Heute läuft die Wirtschaft gerade umgekehrt, die Realwirtschaft ist die Magd der Finanz.
Die totale Finanzialisierung der Weltwirtschaft begann mit den Marktderegulierungen, die 1980 unter Margaret Thatcher in England und Ronald Reagan in den USA einsetzten. Und sich nach dem Untergang der sozialistischen Planwirtschaft 1991 weltweit durchsetzen konnten.
Seither hat sich das Prinzip Deregulierung zum System, dem anglo-amerikanischen, neoliberalen Marktfundamentalismus verfestigt. Der Staat soll sich aus der Wirtschaft raushalten, heisst die Devise. Freie Bahn dem Kapital auf freien Märkten. Bürger bereichert euch im Wettbewerb. "The winner takes all - looser piss off".
Heute steckt dieses Wirtschaftssystem in der totalen Blockade. Davon liest man jeden Tag in der Zeitung, seitdem 2008 der zuvor in Theorie und Praxis verhöhnte Staat die Wirtschaft auch hierzulande durch Sozialisierung der Bankverluste vor dem Bankrott bewahrte. Das neoliberale Krisenmanagement der Rückkehr zum Status Quo Ante ist ein Flopp. Immer mehr Menschen verstehen, billiges Geld für die Banken und Monetarisierung der Staatschuld stärkten nur das Finanzkasino und pumpen eine neue Blase.
Blockade auch in der Wirtschaftstheorie. Das totale Marktversagen von 2008 liess das für Neoliberalismus und Neoklassik konstituierende Paradigma des Homo Ökonomikus implodieren, dem stets rational handelnden Wirtschaftssubjekt. Ernst Fehr und seine neuronale Verhaltensökonomik machten dem völlig unrealistischem Menschenbild der Wirtschaftstheorie den Garaus. Damit mutierten die auf dem Homo Ökonomikus basierenden mathematischen Modellierungen der Marktwirtschaft, inklusive den Risikomodellen der Banken, zum Theorieschrott. Kein Wunder forderten die Zürcher Wirtschaftsstudenten unlängst eine breitere Ausbildung. Während das neoliberale Kampfblatt NZZ (21.9.13) postwendend den angeblich bereits existierenden Pluralismus in der Wirtschaftslehre lobte, und den Studis, empfahl, von den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlern zu lernen.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch die stramm neoliberale Online-Bildungsplattform iconomix der Nationalbank, welche den gleichen abgewirtschafteten Theoriedogmen frönt, wie die NZZ. Vielleicht sollten die zwei neoliberalen Wirtschaftsprofessoren im Nationalbank-Direktorium, Thomas Jordan und Jean-Pierre Danthine, mal darüber nachdenken, wie sich das dogmatische Festhalten von iconomix an einer gescheiterten Wirtschaftsideologie mit dem gesetzliche Mandat der Nationalbank verträgt, Geldpolitik im Landesinteresse zu machen.
Die intellektuelle Kernschmelze der Wirtschaftstheorie kommt ferner auch in zunehmend divergierenden wirtschaftspolitischen Empfehlungen der etablierten Professorenschaft zum Ausdruck: Prof X gegen Euro, Prof Y für Euro; gegen billiges Geld, für billiges Geld, etc.
Auch unsereiner durfte das Elend der Finanztheorie unlängst hautnah miterleben. Und zwar am Beispiel der nach wie vor ungelösten Too-big-to-fail-Problematik, also des weitgehend unbestrittenen, aus volkswirtschaftlichen Erwägungen nötigen Schrumpfung der übergrossen, globalisierten Finanzdienstleistern UBS und CS. Dies im Gefolge meiner Mitarbeit als parteiloser Linker in einer Arbeitsgrupppe von SP-Nationalrat Corrado Pardini, die eine Verfassungsinitiative für ein Trennbankensystems und höheren Eigenkapitalanforderungen vorbereitet.
Bekanntlich möchte SVP-Nationalrat Christoph Blocher das Too-big-to-fail-Problem durch Abspaltung des amerikanischen Investmentbankings der beiden Grossbanken lösen. 2009 hatte er in diesem Sinne eine gemeinsame Erklärung mit dem mittlerweilen verstorbenen Swatch-Eigner Nicolas Hayek und dem damaligen SP-Vize Christian Levrat unterzeichnet. Dieses Aktionsbündnis ist nur logisch: Weder milliardenschwere Unternehmer, noch kleine Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wollen dazu gezwungen sein, im Krisenfall die Verluste der Abzockbanker übernehmen zu müssen.
Angesichts der Berührungspunkte von Pardinis Bankensicherheitsinitiative im Interesse der Arbeitenden, und Blochers Sympathie für das Trennbankensystem als milliardenschwerer Unternehmer, waren konkrete Kontakte zwischen den beiden in dieser Sachte bloss eine Frage der Zeit. Mittlweilen haben diese Kontakte zu zwei (fast) identischen Motionen (Swissness-Trennbankensystem) von SP und SVP im Nationalrat geführt. An den vorlaufenden Gesprächen war ich auch dabei.
Okay Freunde, ich erzähle das hier nicht, um mich aufzuspielen, ganz abgesehen davon, dass diese Rechtskontakte in manchen linken Kreisen sowieso bloss rufschädigend für mich sind. Den Politiker Christoph Blocher bekämpfe ich seit dem legendären 68er Jahr, als wir Linksstudenen uns mit ihm, Harro von Senger, Valentin Landmann, Gerold Bührer und anderen Studentenring-Gründern herumstritten. Nein, ich erzähle die Geschichte als Beleg für die Unfähigkeit der Finanztheorie, heute einen konkreten Beitrag zur dauerhaften Lösung des Too-big-to-fail-Problems in volkswirtschaftlichem Landesinteresse zu leisten. Diese Aufgabe liegt heute beim Parlament.
Der Typ der Schweizer Universalbank hat sich in den vergangenen 150 Jahren Wirtschaftsgeschichte organisch entwickelt. Universalbank heisst alle Geschäfte, so unterschiedlich deren Risiken, werden dem gleichen Eigenkapital-Finanzdach bilanziert. Der UBS-Crash von 2008 in der Schweiz wurzelte in einer explosiven Risikoakkumulation im Wertschriftenbusiness der von New York und London gesteuerten UBS-Investmentbank. Der beste Weg, eine neuerliche staatliche Rettungsaktion auf unsere Kosten zukünftig auszuschliessen, ist die rechtliche, kapitalmässige und operative Abtrennung der hochriskanten UBS-Investmentbank vom Mutterhaus. (Gilt, mutatis mutandis, auch für die CS.) Eine solche Abtrennung der Investmentbank bedingt eine tiefgreifende Reform des Schweizer Bankensystems auf der Stufe Verfassung und Bankengesetz.
In diesem Sinne können die zentralen Fragen der Wirtschaftspolitik an die Finanztheorie folgendermassen formuliert werden: Was ist eine Investmentbank? Was heisst Eigenhandel? Wieviel Kapital braucht eine Bank?
Antworten liefert die Finanztheorie dazu nicht, nur Begriffssalat.
Das musste auch Christoph Blocher konstatieren, als er seine Finanzspezialisten fragte. Diese Leute müssen ihm einen gewaltigen Schreck eingejagt haben mit ihren Behauptungen, nach Abtrennung der Investmentbank könne eine Geschäftsbank nicht überleben. Das ist Schwachsinn. Investmentbank ist heute nur ein weich definierter, man könnte sagen journalistischer Begriff. Investmentbank, Schattenbank, Hedge Fonds, Derivate, Hochfrequenzhandel, etc. - zum "Trümmligwerden". Die SP-Bankensicherheitsinitiative wird den Begriff Investmentbank für den Wirtschaftsplatz Schweiz erstmals definieren müssen.
Weil sowohl Pardini als auch Blocher vorwärts machen wollen, mit der Lösung des Too-big-to-fail-Problems in der Schweiz, ist für die Motion mit dem Begriff "Banken mit Eigenhandel" eine Formulierung gefunden worden, die den Begriff "Investmentbank" vermeidet. Kein Eigenhandel, diese Forderung wurde nach der Finanzkrise vom ehemaligen Präsidenten der US-Zentralbank Paul Volcker ins Spiel gebracht, und vom amerikanische Kongress vor drei Jahren im Dodd-Frank Gesetz festgeschrieben.
Seither arbeiten die verschiedenen US-Finanzmarktüberwachungsorganisationen daran, die Volcker-Rule zu operationalisieren. Dabei ist der urspünglich 1 1/2 Seiten lange Vorschlag Volckers auf fast 1000 Seiten angewachsen, die, bereits mehrmals verschobene definitive Version ist per Ende Jahr angekündigt.
Gesetze die von der Verwaltung nicht in die Realität umgesetzt werden können, sind schlechte Gesetze. Und das Schweizer Parlament ist gut beraten, den Fehler des US-Kongresses mit der Volcker-Rule nicht zu widerholen. Je klarer die zwei neuen Banktypen auf Stufe Verfassung und Gesetz definiert sind, welche die herkömmliche Universalbanken ablösen, desto einfacher wird die Überwachung und Regulierung der Finanzmärkte. Auch im Bereiche der Finanz- und Bankengesetzgebung ist Komplexitätsreduktion das Gebot der Stunde.
Volle strukturelle Separation des Wertschriftenhandels - mit genau definierten Ausnahmen - ist nach meiner Meinung immer noch das beste Rezept zur dauerhaften Lösung des Too-big-to-fail-Problems. Allein, wie sagte doch Bill Clinton auf den Vorwurf des Cannabis-Konsums: Geraucht, aber nicht inhaliert. Oder unsere Doris Fiala auf den Vorwurf des Plagiates in der Masterarbeit: Abgeschrieben, aber nicht gemerkt. Mein kleiner Ausflug in die Wursterei der Parlamentsarbeit lässt mich ähnliches Befürchten.
PS: Das mögliche Aktionsbündnis von SP und SVP in der Too-big-to-fail-Problematik passt vor allem den Freisinnigen nicht. "Paktiererei zwischen der SP und der SVP blockiert die Schweiz", beklagte FdP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Während die NZZ und der jungfreisinnige Weltwoche-Redaktor Christian Mundt, wen wunderts, die Trennbanken schlechtschreiben.