Hoppla, da lese ich doch soeben in der NZZ wahrheitswidrig, der deutsche Ökonom Walter Eucken sei ein Antinazi gewesen. Das darf nicht unerwidert bleiben, für diesen Blogpost ändere ich meine Pläne für den heutigen Morgen ab!
"Gegen das freiheitsfeindliche Naziregime", schreibt die NZZ-Frau Claudia Aebersold, "opponierte er (Eucken) offen. Seine grundlegenden Erkenntnisse über die Funktionsbedingungen einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung entstanden nicht zuletzt als Antithese zur NS-Diktatur und waren massgebend für die Gründung der "Freiburger Schule", deren Ordoliberalismus später das Fundament für die Soziale Marktwirtschaft der deutschen Nachkriegszeit legte."
Das ist Grundfalsch. Eucken war kein Antinazi. Ein Antinazi hätte niemals bis zum Kriegsende Professor an einer nazionalsozialistisch gleichgeschalteten Universität bleiben können. Ebensowenig hätte 1940 Euckens Lehrbuch "Grundlagen der Nationalökonomie" offiziell veröffentlicht werden können. Und für einen Antinazi hätte die Akademie für Deutsches Recht (Mitglieder u.a. Göhring und Roland Freisler) 1942 auch nie und nimmer ein wirtschaftspolitisches Symposium zur Feier dieses Lehrbuches veranstaltet, Titel "Der Wettbewerb als Mittel volkswirtschaftlicher Leistungssteigerung und Leistungsauslese".
Nein, nochmals, Walter Eucken war kein Antinazi. Mir wäre nicht bekannt, das er jemals öffentlich gegen den Völkermord an den Juden und die anderen Verbrechen des Dritten Reiches protestiert hätte. Eucken hatte ganz einfach, wie viele andere das Schwein, dass die USA nach dem Kriege die Deutsche Produktionsmaschine zum Kampf gegen die Sowjetunion wiederaufbauen mussten.
1933 gehörte Eucken zu den liberalen Ökonomen, die 1933 im Gegensatz zu Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke nicht nach Istambul emigrierten. Eucken behielt seine Professur in Freiburg i.Br. Während der wahre Vater der Sozialen Markwirtschaft, Alfred Müller-Armack, damals dem Neokorporatismus frönte, und seinen Sozialismus der Arbeit und des Brotes propagierte, arbeitete der Eucken in seinem Elfenbeinturm an der Renaissance der Wettbewerbsidee.
Zentrum dieser Idee war die Freiburger Schriftenreihe "Ordnung und Wirtschaft", herausgegeben von den drei Professoren Walter Eucken, Franz Böhm und Hans Grossmann-Doerth.
Die drei Süddeutschen Akademiker vertraten die Ansicht, dass die von den Nazis aufgebaute, auf Kriegsproduktion und Schwerindustrie basierende Planwirtschaft, langfristig nicht würde funktionieren können. Die Produktionserfolge von Göhrings Vierjahresplan beeindruckten sie wenig.
Wenn der Staat die Produktionsziele diktiert, dann wird der Wettbwerb unter den Produzenten ausgeschaltet, die Produktequalität zweitrangig und die Innovationskraft der Betriebe auf die rationelle Organisation interner Abläufe fokussiert. Neue Produkte und Verfahren gibt es langfristig nicht mehr. Die Probe aufs Exempel lieferte später die Sowjetwirtschaft. Das hat Deng Xiaoping schon früh realisiert und den Produktionsapparat Chinas gemäss dem Wettbewerbsprinzip reformiert, doch das ist eine andere Geschichte.
Die deutschen Leistungswettbewerbler Eucken, Böhm und Grossmann-Doerth hatten das Problem, dass sie im nazionalsozialistischen Deutschland ihre Wettbewerbslehre nicht auf die klassische angelsächsische liberale Tradition von Adam Smith und John Stuart Mill basieren konnten. Gar nicht zu reden vom Juden David Riccardo.
Im Aufsatz "Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung" löste Franz Böhm 1937 die Wettbewerbsidee aus dem ideologischen Kontext des angelsächsischen Liberalismus, und machte den Wettbewerb zum rein technokratischen Organisationsprinzp der Wirtschaft. Mit dem Staat als Regulator.
Nicht die Freiheit des kapitalistischen Besitzbürgers ist der Kern des Ordoliberalismus der Freiburger Schule, sondern die Idee, dass der Wettbewerb staatliche Leitplanken braucht.
Diese Idee suchte Walter Eucken 1942 auf dem erwähnten Symposion auch Reichsmarschall Göhring schmackhaft zu machen. Er sagte dort u.a. dass der Staat nach dem Krieg die Kartelle und Monopole auflösen, und die Einhaltung der Spielregeln des Leistungswettbwerbes sichern müsse.
PS1: Mehr dazu in: "Bertelsmann - Eine deutsche Geschichte" von Gian Trepp, Unionsverlag 2007, Seite 110ff.
PS2: Nach dem Grüniger-Film foutiert sich nun auch die NZZ um die Suche nach historischer Wahrheit. Doch die Wahrheit darf von niemandem bestritten werden, was immer Gedächnis, Erinnerung und Interesse sonst produzieren.
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