Der reservierte Tisch für regelmässige Gäste existiert seit es Gasthäuser gibt. Und das ist schon lange.
Unvergessen blieb mir der Stammtisch im Restaurant Krokodil an der Zürcher Langstrasse, wo meine Eltern einstmals gewirtet haben. Fröhliche Männer am grossen runden Tisch mit dem grossen Metallascher in der Mitte, die redeten, tranken, assen, rauchten und mit der Serviertochter anbändelten, wie man die Servicefachfrauen damals nannte.
Eine Szene in Goethes Faust bringt das tiefere Geheimnis solcher Stammtische auf den Punkt, nämlich die Produktion kollektiver Gefühlswärme durch Verschmelzung von Individuen zur realexistierenden Gruppe.
"Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen!", singen die Zecher im Auerbachs Keller. Dann lässt einer sein nationales Ressentiment gegen die Franzosen raus und sagt: "Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern."
Das tiefere Geheimnis der heutigen Social Media Kanäle hingegen, ist die Produktion individueller Gefühlswärme durch die Verschmelzung von Individuen zur virtuell existierenden Gruppe.
Fällt die analoge Hosensackwärme der alten Stammtische à la Krokodil oder Auerbachs Keller der digitalen Revolution zum Opfer, oder kann sich der in Echtzeit auf Youtube und andere Videokanäle übertragene Stammtisch im digitalen Universum neu erfinden, das ist hier die Frage.
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