Hier nochmals mein Blogpost vom 22.10.2012 über den Historiker Prof. Thomas Maissen, Direktor des Deutschen Historischen Institutes in Paris, der sich im Gespräch mit dem Tages-Anzeiger vom 15.2.14 von der Schweiz "mehr Realismus" wünscht, womit er die Preisgabe der Schweizer Souveränität meint.
„Wehret dem Patriotismus!“, mit diesen Worten überschrieb die NZZ kürzlich einen Beitrag des Heidelberger Geschichtsprofessors Thomas Maissen (16.10.2012). Darin negiert Maissen den Wert des Prinzips Selbstbestimmung als Kompass schweizerischer Politik. Angesichts der „unangenehmen Schläge“ von Aussen, so Maissen, gelte es den verbleibenden Spielraum unseres Landes richtig einzuschätzen und die „überschätzten Bollwerke „Souveränität“ und „Neutralität“ zu schleifen. Ansonsten drohe das „Diktat des Auslandes“.
Die Anpassung an den äusseren Druck von Imperialmächten und Grossstaaten ist eine klassische Option von Kleinstaaten in Krise und Krieg. Hierzulande erinnert das Stichwort unweigerlich an die berüchtigte Rede von Bundesrat Marcel Pilet-Golaz, der nach Frankreichs Fall im Sommer 1940 die Anpassung an das (kurzlebige) Neue Europa unter der Knute des Dritten Reiches verkündete.
Überraschend kommt das Outing Maissens als Antipatriot nicht, hat er doch in seinen Schriften dem Überleben der Schweiz als souveränder Staat seit je keine grossen Zukunftschancen gegeben.
Im Buch „Verweigerte Erinnerung“ (2004), beschreibt und beurteilt er die Geschichte vom Druck US-amerikanischer und anderer Regierungsstellen, sowie einiger jüdischer Organisationen in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre auf die Schweiz. Grund dieser Attacken waren anfänglich die nachrichtenlosen Konten jüdischer Holocaust Opfer, dann das traurige Schicksal der an der Grenze abgewiesenen jüdischen Flüchtlinge und schliesslich die Kollaboration mit dem Dritten Reich insgesamt.
Die Perspektive seines Buches, das auf die Initiative des jüdischen Anwaltes und Historikers Eric Dreifuss zurückgeht, nennt Maissen selber „universalisierte jüdische Erinnerung“. Die offizielle Schweiz geisselt er wegen der „verweigerte Übernahme“ dieser Erinnerung, deren Ausgang (Schweizer Banken mussten 1998 1.25 Milliarden Dollar Reparation und Restitution leisten), interpretiert er als Crash „überlebter Souveränitätskonzepte“. Dass linke und christliche Kreise das Verhalten der Schweiz im Krieg schon immer kritisierten und bekämpften, interessiert ihn weniger.
Im Buch „Die Geschichte der Schweiz“ (2010) gibt Maissen „einen Überblick über die Entwicklung der „Schweizerischen Eidgenossenschaft“ als politischer Gemeinschaft.“ Und profiliert sich dabei als subversiver Saboteur der Selbstbestimmung.
Er habe „die Nachfrage (vieler Menschen) bedient“, die sich für eine Nationalgeschichte interessieren, heisst es im Anfangskapitel in verräterisch neoliberaler Terminologie. Um diesen Nachfragern dann am Schluss nahezubringen, dass „Die Rezepte der (Schweizer) Vergangenheit kaum mehr ausreichen werden, um einen angemessenen Platz in der Weltordnung von morgen zu erlangen.“
Maissens Erzählung beginnt mit dem Beginn der territorialen Existenz der Eidgenossenschaft, die er auf das 14. Jahrhundert datiert. Die Vorgeschichte der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verdichtung im 11. bis 13. Jahrhundert, wo die tieferen Wurzeln der späteren Ereignisse liegen, sind ihm lediglich einige Seiten wert. Doch ohne die Kenntnis dieser Wurzeln, ist die Entstehung der Eidgenossenschaft nicht zu verstehen.
Maissens Unverständnis der Bedeutung dieser Vorgeschichte, zeigt auch seine Besprechung der Ausstellung „Die Staufer und Italien“ vor zwei Jahren im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim. Darin beschreibt er das Ausstellungskonzept „Drei Innovationsregionen im mitelalterlichen Europa“ seiner beiden Heidelberger Kollegen Stefan Weinfurter und Bernd Schneidemüller und Museumsdirektor Alfried Wieczorek sinngemäss als abwegiges Marketingkonzept.
Diese Kritik ist völlig verfehlt. Wenn schon Kritik an Marketingkonzepten von Museen, dann wäre das wechselnde Programm von Direktor - oder vielleicht besser Eventmanager - Andreas Spillmann vom Schweizerischen Nationalmuseum das geeignete Objekt. Spillmanns Wechselausstellungen fehlt der relevante Bezug zur Vergangenheit der Metropolitanregion Zürich. Seine Shows über Postmodernismus, Mani Matter, WWF oder die Kaufleute von Venedig sind vielleicht gut für die Zuschauerzahlen, könnten aber geradesogut im nachbarlichen Kunstgewerbemuseum stattfinden. Ausstellungen beispielsweise über den Aufstieg und Abgang der Lenzburger, oder zur Frage, wie und warum Zürich das einstmals bedeutendere Konstanz überflügeln konnte, sucht man im Zürcher Hauptsitz des mitlerweilen regionalisierten Schweizerischen Nationalmuseums vergeblich.
Irgendwie passt dieses Manko gut zu Spillmanns Unfähigkeit, adäquat auf die Kritik des verstorbenen Mediävisten Roger Sablonier am Konzept der Dauerausstellung zu reagieren. Und auch zum Schub im Kampf um Deutungshoheit über die Schweizergeschichte, die Spillmann dem Antipatrioten Maissen in seinem Katalog zur neuen Dauerausstellung „Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert“ in Schwyz gibt, obwohl Maissen zu dieser Thematik nichts beizutragen hat. Doch das ist eine andere Geschichte.
Die Weinfurter/Schneidemüller/Wieczorek These von den innovativen Staufern liegt völlig richtig. Wenn man die Deutschen Geschichtsprofessoren kritisiern wollte, dann höchstens dafür, dass sie in ihrer Ausstellung die vierte staufische Innovationsregion vergessen haben, nämlich Schwabens Voralpen und Alpenpässe, dort wo heute die östliche Schweiz liegt. Dieses Transitgebiet war ein unverzichtbares Bindeglied zwischen dem von den Alpen getrennten nördlichen und südlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches. Die alemannischen Bewohner der Hochtäler der Zentralalpen boten Sommers und Winters Gewähr für den schnellen und Sicheren Transport von Waren und Informationen vom staufischen Kernland im heutigen Baden-Würtemberg in den Süden und zurück. Und auf Schnelligkeit und Sicherheit von Weg und Steg über die Alpen waren die Stauferkaiser angewiesen, gleich wie vor ihnen schon die Kaiserdynastien der Salier, Ottonen und Karolinger. Dieser geostrategische Faktor war ein zentraler Treiber der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verfestigung und Verdichtung, die später im Laufe des 14. Jahrhunderts Bildung und Überleben des republikanischen Bundes der Eidgenossen als Teritorrialstaat ermöglichte.
Die zweite Schwäche von Maissens Schweizergeschichte offenbart sein Schlusskapitel über die Schweiz seit Ende des Kalten Krieges. Ein unausgegorener, um nicht zu sagen unehrlicher Text, der in verschleiert-verklausulierter Sprache das Ende von Neutralität und Selbstbestimmung beschwört, ohne die Frage aufzuwerfen, wenn nicht Neutralität und Selbstbestimmung, was den sonst? Was möchte Maissen? Beitritt zur EU? Bündnis mit den USA und Israel? Bündnis mit Russland und China? Hic Rhodos, hic salta!
Etwas kann man dem selbstdeklarierten Antipatrioten Maissen bei aller Kritik zu Gute halten. Sein Aufruf gegen den Patriotismus verweist auf die Aktualiät des Themas Selbstbestimmung im Nationalstaat. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn Bendit und der neoliberale belgischen Ex-Premier Guy Verhofstadt verkündeten unlängst die postnationale Revolution. Die Nationalstaaten gelten den beiden als Mutter allen Übels in Europa und Totengräber der EU. Andere sehens anders, etwa der EU-kritische, konservative britische Premierminister Cameron, oder die fiebrigen Ethno-Nationalisten im Kosovo, Israel, Ungarn und anderswo, die zurzeit ihre Nationalstaaten stärken.
Auch hierzulande liegt die Frage nach der zukünftigen Bedeutung von Selbstbestimmung und Neutralität, und damit auch die Geschichte der Schweiz auf dem Tisch. Gewerkschaften, Linke und Grüne sind gut beraten, dieses Thema nicht zu ignorieren.
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