In Sachen Finanzdigitalisierung ist China Weltspitze.
Der weltgrösste Konzern für digitale Finanzgeschäfte, die Ant Group aus Hangzhou, exemplifiziert Chinas Vorsprung sowohl auf die USA, als auch auf die EU und Japan.
Ant Group bündelt Zahlungsverkehrs-, Kredit- und Anlagegeschäfte für die Massenkundschaft auf einer App und hält damit, was US, EU und Japan Banken bloss versprechen.
Zu den Ant-Group-Töchtern gehört Alipay, die weltweit grösste Zahlungsplattform. Sie verbindet den Online-Händler Alibaba und 80 Millionen kleinere Shops mit über einer Milliarde Nutzern. 2019 verzeichnete Alipay einen Umsatz von rund 118 Billionen Yuan (ca. 16 Bio. CHF), das sind 25 mal mehr als die grösste US-Zahlungsplattform PayPal.
Zum Ant-Universum gehört auch Yu’e Bao, der mit 588 Millionen Anlegern weltweit grösste Geldmarkt-Fonds. Huabei, die grösste chinesische Online-Konsumkreditplattform. Und Jiebei, die chinesische Nummer 1 für Online-Kredite für kleine und mittlere Unternehmen.
Huabei und Jiebei sind die Hauptwachstumsträger der Ant Group. Zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit setzen Huabei und Jiebei voll auf Maschinenintelligenz plus Big Data von Alipay, Yu'e Bao und zahlreicher anderer Ant-Group-Gesellschaften.
Ende Juni beliefen sich die vergebenen Huabei/Jiebei-Kredite auf 1,73 Billionen Yuan (239 Mia. Fr.). Davon 98% fremdfinanziert, entweder durch Drittbanken, oder durch den Weiterverkauf der von der Ant-Group-Investmentbank zu handelbaren Wertpapieren gebündelten einzelnen Darlehensverträge.
IPO gecrasht
Vergangene Woche ist die 2014 gegründete, bislang stets erfolgsverwöhnte Ant Group erstmals gröber gestrauchelt.
48 Stunden vor dem ersten Handelstag am 4. November hat die chinesische Börsenaufsicht den zuvor bewilligten Börsengang (IPO) in Schanghai und Hongkong abrupt gestoppt.
Dadurch entgingen der Ant Group umgerechnet etwa 31 Milliarden Franken aus dem Erlös der um ein vielhundertfaches überzeichneten Aktienemission.
Noch viel gravierendere Einbussen drohen der Ant Group durch die zahlreichen koordinierten, schärferen Regulierungen der letzten zehn Tage von Staatsrat (Regierung), Volksbank (Zentralbank) und Banken- und Versicherungsaufsicht (CBIRC).
Die neue Regeln engen das Geschäftsfeld der Internet-Händler ein, verlangen mehr Wettbewerb zwischen den Oligopolen wie Alibaba-Ant oder Tencent-JDcom, und zerschlagen damit diese die im Klima der bislang liberalen chinesischen Finanzmarkt-Regulierung entstandenen privaten Handels-Zahlungsverkehrs-Anlageberatungs-Kredit-Ökonsysteme.
So gibt es beispielsweise für den grössten Ant-Wachstumstreiber, das chinaweite Online-Mikrokreditbusiness, verschärfte Kapitalunterlegungsvorschriften der Chinesischen Volksbank (Zentralbank) die noch praktisch keine Akteure erfüllen. Auch muss Ant neu statt 2% neu 30% der vergebenen Kredite in der eigenen Bilanz behalten. Ob Huabei/Jiebei in der Alipay-App integriert bleiben dürfen ist offen.
Gleichzeitig sollen die wirksamere Vorschriften der Wettbewerbsbehörde des Staatsrates für mehr Wettbewerb unter den Internetplattformen sorgen, und die zunehmend geschlossenen Ökosysteme von Alibaba-Ant und Tencent-JD.com zu öffnen. Damit die Tencent/WeChatpay-Zahlungapp auch im Alibaba-Onlinestore Taobao funktioniert, was bislang nicht der Fall ist ist.
Die Kommunistische Partei greift ein
Alles in allem lassen die systemrelevanten Veränderungen der vergangenen zehn Tage auf den chinesischen Finanzmärkten nur einen Schluss zu: Die Kommunistische Partei hat eingegriffen und die politökonomischen Rahmenbedingungen der Finanzdigitalisierung neu definiert.
Bereits hat das Wall Street Journal spekuliert, hier habe KP-Chef und Staatspräsident Xi Jinping himself eingegriffen — Mag sein.
Operativ zuständig in der Kommandokette ist das Komitee für Finanzstabilität und Entwicklung des Staatsrates. Die 2017 auf Xi Jinpings Anregung entstandene Superbehörde zur Überwachung der Geld- und Finanzpolitik hat weitreichende Weisungsbefugnisse im Finanzwesen und darf Provinz- und Lokalregierungen Vorschriften für den Finanzhaushalt machen. Geleitet wird das Komitee von Vize-Premier des Staatsrates und Politbüromitglied der KP Chinas Liu He, ein langjähriger Vertrauter und Wirtschaftsberater Xi Jinpings und an der US-amerikanischen Harvard-Universität ausgebildeter Ökonom.
Für alle die es gerne genau wissen wollen, hier das relevante Dokument der Sondersitzung des Komitees für Finanzstabilität und Entwicklung des Staatsrates vom 31. Oktober 2020, einer "Sondersitzung um den Geist der Fünften Plenarsitzung des 19. Zentralkomitees der Partei zu vermitteln, sowie die Umsetzung im Finanzsystems zu untersuchen und durchzuführen".
Link: Finanzreformbestrebungen im Ramen des nächsten chinesischen 5-Jahresplans 2021-2026
In einem Satz zusammengefasst soll die Finanzdigitalisierung nicht via die Konsolidierung und weitere Stärkung der neuen realwirtschaftlich-finanzwirtschaftlichen Hybridkonglomerate wie Alibaba-Ant und Tencent-JD.com voranschreiten, sondern über die weitere Digitalisierung des Bankensystems, insbesonere der vier grossen Staatsbanken in Kombination mit der Einführung des E-Renminbi durch die Chinesische Volksbank (Zentralbank).
Wohl nicht zufällig hat eine der staatlichen Grossbanken, die China Construction Bank Corp. in diesen Tagen die Begebung ihrer ersten voll digitalisierten, börsengelisteten Anleihe für In- und Ausländer auf einer Blockchain verkündet, die gegen E-Renminbi oder Bitcoin gehandelt werden kann.
Rückwirkend erscheint damit die Rede von Jack Ma (Chinesisch Mǎ Yún) von Anfang November am 2. Bund-Finanzgipfel in Schanghai in einem neuen Licht. Ma ist als Gründer, Grossaktionär und starker Mann des Alibaba-Ant-Konglomerates einer der reichsten Chinesen und Mitglied der KP Chinas obendrein.
In dieser Rede vertritt Ma diametral andere Ansichten als das erwähnte Komitee für Finanzstabilität des Staatsrates. Er stellte das chinesische Bankenmodell, dessen "verbürokratisierte Regulation" und auch die Einbindung der chinesischen Banken in das globale Finanzsystem fundamental in Frage.
Er fürchte nicht die Finanzregulierung an sich, sagte Ma, sondern nur die veraltete Regulierung. Und benutzte dazu folgenden Vergleich: Wir können einen Flughafen nicht auf die gleiche Weise verwalten wie einen Bahnhof.
Weiter sagte Ma die staatlichen Grossbanken würden in China immer noch wie "Pfandhäuser" geführt, die bei der Kreditvergabe bloss auf ausreichende Sicherheiten achteten.
Dieses System sei im Zeitalter der industriellen Entwicklung konzipiert worden, sagte er weiter. Doch um der riesigen chinesischen Wirtschaft auch in Zukunft effizient Kredit bereitzustellen, brauche es ein neus, umfassendes, nachhaltiges und grünes System.
Neue, technologiegetriebene Kanäle welche die Entscheidung der Kreditgewährung nicht dem Pfand überliessen, sondern auf Big Data, Cloud Computing und Blockchain vertrauten.
Bemerkenswert auch Mas Frontalangriff auf die BIZ in Basel, auch Bank der Zentralbanken genannt, wo die Chinesische Volksbank Mitglied ist.
Ma meinte das als Basel III bekannte internationale Regelwerk zur Stabilisierung der globalen Finanzmärkte sei mit seinem veralteten Glauben an verschärfte Eigenkapitalvorschriften ebenfalls ein Pfandleih-Modell. Dieses von "einem Klub alter Leute" zur Risikontrolle eines gealterten Bankensystems entworfene Basler Modell sei möglicherweise nicht die richtige "Medizin" für das noch in den Kinderschuhen steckenden Finanzsystem Chinas.
Zum Schluss betonte Ma dass Innovation immer mit einem Risiko verbunden sei, doch das grösste Risiko sei, dass man versuche, das Risiko auf Null zu minimieren.
Nach Mas sonntäglicher Rede kam es noch gleichentags mit den ebenfalls in Schanghai anwesenden Spitzen der Finanzmarktüberwachung zu einer Sitzung, wo auch der Präsident und der CEO der Ant Group anwesend waren. Und am Montag hat die KP China klar gemacht, wer im Reich der Mitte das Sagen hat.